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Die Gesellschaft im Reich der Merowinger

Vor einiger Zeit habe ich bereits einen Beitrag über die Merowinger und ihre Herrschaft über das Frankenreich geschrieben. Zur Ergänzung gehe ich nun auf die gesellschaftlichen Verhältnisse im Frankenreich zur Zeit der Merowinger ein.

Franken, Gallorömer und andere Völker

Im Frankenreich zur Zeit der Merowinger lebten nach Schätzung von Martina Hartmann rund 200.000 fränkische Siedler und 6-7 Millionen Gallorömer, Angehörige der römisch geprägten Kultur in Gallien. Die Franken stellten die Bevölkerungsmehrheit im Osten Galliens, in den heutigen Niederlanden und in Flandern. Im übrigen Reich westlich des Rheins lebten überwiegend Gallorömer. Südlich der Loire siedelten die Franken gar nicht, sondern sie übten nur mittelbar ihre Herrschaft aus.

In den eroberten Gebieten der Alemannen, Thüringer und Bayern setzten die Merowinger Herzöge (duces) ein, die im Auftrag des Königs die Herrschaft ausübten. Dort siedelten sich auch einige Franken an, so im heutigen Mainfranken, das Bestandteil des Thüringerreiches gewesen war.

Im Reich der Merowinger gab es kein einheitliches Recht für alle. Die Franken und die anderen Völker lebten nach ihrem jeweiligen Recht. Für die Franken war dies die Lex Salica, die auch für Gallorömer galt. Die Menschen in den unterworfenen Gebieten durften weiterhin nach ihrem traditionellen Recht leben. Im 7. Jh. ließen die Merowinger das Recht der Alemannen (Lex Alamannorum) und das Recht der Bayern (Lex Baiuvariorum) aufschreiben.

Die gesellschaftlichen Schichten

Die Gesellschaft bestand während der Merowingerzeit aus drei Klassen: Freie (ingenui), Halbfreie (laeti) und Unfreie (servi, ancillae). Man wurde in den jeweiligen Stand hineingeboren, aber ein Auf- oder Abstieg war möglich. Chancen für einen wirtschaftlichen oder rechtlichen Aufstieg gab es vor allem im Dienst der Kirche oder am Königshof der Merowinger. Darüber hinaus wurden viele Unfreie testamentarisch nach dem Tod ihres Herrn freigelassen, blieben aber häufig bei dessen Familie, da sie sich die Gründung eines eigenen Haushalts nicht leisten konnten. Gründe für einen sozialen Abstieg waren z.B. wirtschaftliche Schwierigkeiten, Kriegsgefangenschaft oder ein begangenes Verbrechen.

Handschrift der Lex Salica von 793
Handschrift der Lex Salica von 793

Soziale Unterschiede spiegeln sich in der Höhe des Wergeldes wider, das der Täter laut Lex Salica zu zahlen hatte, falls er eine Person aus der betreffenden Gruppe tötete. Für die Tötung eines Unfreien waren dem Besitzer 45 Schillinge zu zahlen, für die Tötung eines Halbfreien 100 Schillinge. Falls der Täter einen Freien umgebracht hatte, musste er an dessen Familie 200 Schillinge entrichten. Für Gallorömer galt ein niedrigeres Wergeld, und zwar für Grundbesitzer 100 Schillinge und für Zinshörige 45 Schillinge.

Freie Frauen im gebärfähigen Alter wurden zur Zeit der Merowinger besonders hochgeschätzt, für sie waren 600 Schillinge zu zahlen. Für Mädchen und ältere Frauen, die keine Kinder mehr bekommen konnten, betrug das Wergeld hingegen nur 200 Schillinge.

Das Wergeld war so hoch, dass es häufig das Vermögen des Täters überstieg. Dieser musste dann entweder einen Verwandten finden, der einen Teil der Summe übernahm, oder er konnte sich vertraglich zum Sklaven des Geschädigten machen und das Wergeld „abarbeiten“. Vermutlich war das Wergeld so hoch angesetzt, um abschreckend zu wirken und die bei den Germanen übliche Fehde und Blutrache zu unterbinden. Die Merowinger erkannten, dass Fehden die Gesellschaft schwächten und die Franken anfällig für Angriffe machte. Mit Gesetzen wie der auf Befehl Chlodwigs aufgezeichneten Lex Salica wollten die Merowinger Frieden schaffen, die gesellschaftliche Stabilität verbessern und ihre Herrschaft stärken.

Die Oberschicht

Im Wergeldkatalog der Lex Salica werden Unterschiede innerhalb der Schicht der Freien nicht erwähnt. Die Oberschicht wird vor allem anhand der reichen Grabbeigaben archäologisch sichtbar. Besonders herausgehoben wurde in der Lex Salica nur eine spezielle Gruppen, nämlich Leute im Köngsdienst. Für die Tötung einer solchen Person musste der Täter das dreifache Wergeld eines Freien zahlen, nämlich 600 Schillinge.

Merowingerzeitliche Scheibenfibeln
Merowingerzeitliche Scheibenfibeln. © Clio20 - CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Die Oberschicht war, wie alle Freien zur Zeit der Merowinger, zum Kriegsdienst verpflichtet. Falls sie dem nicht Folge leisteten, mussten sie Strafgeld zahlen.

Zur Oberschicht im Reich der Merowinger gehörten z.B. Bischöfe, der gallische Senatorenadel und Grundherren, die Land besaßen. Fehden und Blutrache waren vor allem eine Sache der Oberschicht. Bei juristischen Auseinandersetzungen hatte die Oberschicht ihren Gerichtsstand am Königshof. Falls die Todesstrafe verhängt wurde, wurden Angehörige der Oberschicht meist enthauptet, während Leute aus niederen Gesellschaftsschichten gehängt wurden.

Die freien Franken waren eine Gruppe innerhalb der Oberschicht. Sie fühlten sich auch Generationen nach der Eroberung noch immer als Herren des Landes. Sie waren von der Kopfsteuer befreit und wehrten sich erfolgreich gegen Versuche der Merowinger, sie zur Zahlung der Kopfsteuer zu verpflichten.

Innerhalb des fränkischen Adels wird gegen Ende des 6. Jh. eine Veränderung sichtbar: Ein Adliger verstand sich nun eher als Grundherr und weniger als Anführer eines kriegerischen Gefolges.

Die Mittelschicht

Die Mittelschicht war steuerpflichtig und musste wie alle Freien Kriegsdienst leisten. Zur Mittelschicht zählten in Gallien die wohlhabenden Mitglieder der Pfarrgemeinden auf dem Lande und die reichen Eigenkirchenherren, die an hohen Feiertagen das Gefolge des Bischofs bildeten. Sie wählten den Bischof und stellten die Mitglieder der Stadtregierung, die den Bischof unterstützte. Die Bischöfe hatten nämlich nach dem Untergang des Römischen Reiches auch weltliche Aufgaben übernommen und wurden so immer mehr zu Stadtherren. Viele Bischöfe waren deshalb mächtiger als die comites (Grafen), die zumindest formal die weltlichen Stadtherren waren.

Merowingerzeitliches Grab
Merowingerzeitliches Grab

Die Unterschicht

Die Unterschicht setzte sich im Reich der Merowinger aus Unfreien und armen Freien zusammen. Unfreie waren Eigentum ihres Hern, der sie beliebig verkaufen, vererben, verschenken oder freilassen durfte. Ein Unfreier konnte nicht vor Gericht auftreten. Bei Rechtsverstößen musste der Herr Strafe zahlen und auch die Kopfsteuer zahlte der Herr. Für die Heirat benötigten Unfreie die Zustimmung ihres Herrn. Unfreie konnten Eigentum des Königs, seiner Familie oder seiner Beamten sein, außerdem besaßen Kirchen, Klöster, einzelne Geistliche sowie Personen aus der Oberschicht Sklaven. Auch einige Angehörige der Mittelschicht konnten sich Sklaven leisten. Unfreie konnten nicht Kleriker werden, dazu war die vorherige Freilassung notwendig.

Freie Angehörige der Unterschicht besaßen meist etwas Land, Vieh und Geräte oder Werkzeug. Sie mussten Kriegsdienst leisten und Kopfsteuer zahlen. Ihr Gerichtsstand war beim örtlichen Grafen oder seinem Stellvertreter (vicarius). Sogar ein frei geborener Bettler konnte beim Grafengericht Recht bekommen. Zur freien Unterschicht gehörten viele Bauern, Handwerker und Händler. Vor allem während einer Hungersnot konnte es geschehen, dass Freie in Unfreiheit gerieten.

Zur Unterschicht gehörten außerdem Personen, die keinen Herrn und keinen festen Wohnsitz besaßen, z.B. Menschen mit Missbildungen oder Behinderungen. Auf dem Konzil von Orléans (511) war festgelegt worden, dass die Bischöfe für diese und andere Menschen, die in Armut lebten, sorgen sollten.

Einen Sonderstatus hatten die Juden. Sie waren häufig Ärzte, Kaufleute, Geldverleiher oder Schiffseigner. In vielen Belangen wurden sie ausgegrenzt. So durften sie z.B. keine Christen heiraten und ihnen wurden keine Ämter verliehen. Auch von Pogromen und Bekehrungsversuchen wird berichtet.

Frauen, Heirat und Ehe

Die Frauen heirateten während der Zeit der Merowinger durchschnittlich mit 15-18 Jahren, ebenso wie in der Spätantike. Das Heiratsalter der Männer sank hingegen von 30 auf 22-25 Jahre. Im Unterschied dazu heirateten die Merowingerkönige meist sehr jung. Vor allem ab dem 7. Jh. heirateten die Könige, sobald sie mit 14 oder 15 Jahren mündig wurden.

In der Familie der Merowinger war darüber hinaus einiges erlaubt, was für die übrige Gesellschaft nicht galt. So waren dort Polygamie und Konkubinat gang und gäbe. Auch spielte es für das Erbrecht keine Rolle, ob der Sohn des Merowingerkönigs aus einer legitimen Verbindung stammte. Allein die Anerkenung als Sohn durch den König war notwendig.

Bis ins 7. Jh. war es Bischöfen noch möglich zu heiraten. Allerdings waren sie trotz Ehe zur sexuellen Enthaltsamkeit verpflichtet.

Bei der Heirat bekam die Braut von ihrem Ehemann eine dos, auch Brautschatz genannt. Sie sollte zur Versorgung der Frau dienen, falls der Mann vor ihr starb. Außerdem erhielt die Frau nach der Hochzeitsnacht die sogenannte Morgengabe. Die Eltern gaben der Braut je nach ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten eine Mitgift.

Scheidungen waren zur Zeit der Merowinger noch problemlos möglich. Dabei durften sowohl Frauen als auch Männer die Initiative ergreifen und Frauen konnten offenbar ihr Vermögen mitnehmen. Ein Scheidungsverbot entwickelte sich erst durch den Einfluss der Kirche im 8. und 9. Jh.

Frauen waren rechtlich schlechter gestellt als Männer, z.B. im Erbrecht. Nach fränkischem Recht durften sie nicht erben. Diese Bestimmung wurde in der Praxis aber häufig ignoriert. Eine Frau war auch benachteiligt, wenn sie unter ihrem Stand heiraten wollte. Sie verlor ihre Freiheit, wenn sie einen Unfreien heiratete. Diese Bestimmung konnte durch vorherige Freilassung des Unfreien umgangen werden. Wie bereits erwähnt, entschied über die Ehe zwischen Unfreien der jeweilige Herr.

Literaturhinweise:

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