Je nach gesellschaftlichem Stand verlief die Kindheit in der Stadt unterschiedlich. Die Kinder von reichen Leuten wurden zu Hause von Privatlehrern unterrichtet, Mädchen normalerweise von Lehrerinnen. Diejenigen, die für ein religiöses Leben vorgesehen waren, gingen in die Grundschule im Kloster. Andere besuchten die Grundschulen in den Städten. In den weltlichen Schulen wurden Jungen und Mädchen gemeinsam unterrichtet. Die Kinder lernten Lesen und Schreiben, meist anhand der Bibel, sowie Chorgesang, um bei der liturgischen Gestaltung des Gottesdienstes mitzuwirken.
Kinder reicher Bürger
Fast alle Kinder wohlhabender Bürger in den europäischen Städten besuchten zumindest einige Jahre die Grundschule. Manche, jedoch nicht alle Eltern berücksichtigten bei der Berufswahl die Neigung ihrer Söhne. Wer einen kaufmännischen Beruf ergreifen wollte, ging anschließend zur Handelsschule, oft jedoch nur für kurze Zeit. Dort lernten die Schüler rechnen, Buchführung, Geschäftskorrespondenz, zum Teil auch Geografie und Fremdsprachen. Danach gingen sie bei einem Kaufmann oder Bankier in die Lehre. Jungen, die Arzt, Notar oder Anwalt werden wollten – hoch angesehene Berufe –, gingen nach der Grundschule in die Lateinschule. Ihr Lehrplan war derselbe wie für die Geistlichen und stellte die Vorbereitung auf das Studium dar.
Zu Beginn der Lehrzeit verließen die Kinder normalerweise ihr Elternhaus. Angehende Kaufleute absolvierten ihre Ausbildung häufig in einer fremden Stadt, zum Beispiel bei einem Verwandten. Die Dauer der Lehre unterschied sich von Land zu Land. In Florenz dauerte sie drei bis fünf Jahre, in London zum Teil sogar zehn Jahre.
Den Mädchen blieben die höheren Schulen unzugänglich. Sie wurden im elterlichen Haushalt erzogen und nicht auf einen Beruf oder ein Amt vorbereitet, sondern sollten fromme, gehorsame, bescheidene Ehefrauen und Mütter werden. Sie lernten lesen und schreiben, aber in erster Linie wurde ihnen ihre spätere Aufgabe der Haushaltsführung nähergebracht. Von ihren Müttern lernten sie Handarbeiten, kochen und backen sowie sauber machen. Die meisten Mädchen heirateten jung. Das durchschnittliche Heiratsalter lag im Mittelalter in europäischen Städten zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr. Meist wurden die Mädchen von ihren Eltern mit einem älteren Mann verheiratet und bekamen früh Kinder. Die Haushaltsführung fiel den meisten jungen Ehefrauen zu Beginn schwer, da sie nicht ausreichend darauf vorbereitet waren.
Kinder von Handwerkern und Lohnarbeitern
Die Kinder von Handwerkern und kleinen Ladenbesitzern gingen oft bei ihren Eltern oder in einer fremden Werkstatt in die Lehre. Zuvor besuchten einige, aber nicht alle ein bis zwei Jahre die Grundschule. Viele Kinder erlernten den Beruf der Eltern und gewöhnten sich von klein auf an deren Handwerk. Falls sie bei Fremden in die Lehre gingen, begann diese in sehr unterschiedlichem Lebensalter, vom siebten bis zwanzigsten Lebensjahr. Die Lehrzeit konnte je nach Beruf und Stadt zwei bis zwölf Jahre dauern. Die Mindestdauer wurde von den Zünften festgelegt.
Mädchen konnten ebenso wie Jungen eine Lehre absolvieren, allerdings nicht in allen Gewerben. Weniger Mädchen als Jungen gingen zur Schule und weniger Mädchen wurden von Handwerkern ausgebildet. Die meisten Mädchen lernten ihr Handwerk von den Eltern.
Über die städtische Unterschicht, die gelernten und ungelernten Lohnarbeiter, ist relativ wenig bekannt. Viele Kinder aus armen Familien sowie Waisen- und Findelkinder arbeiteten als Dienstboten in einem fremden Haushalt. Ein großer Teil der Dienstboten waren Kinder und Jugendliche zwischen acht und siebzehn Jahren. Einige Mädchen arbeiteten mehrere Jahre, sparten für eine Mitgift und heirateten dann, andere blieben ihr Leben lang Dienstboten.
Verwendete Literatur
- Borst, Otto: Alltagsleben im Mittelalter. Frankfurt am Main 1983. *
- Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150-1550: Stadtgestalt, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft. Stuttgart 2014. *
- Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter. Reinbek bei Hamburg 1993. *
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