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Die Nacht im Mittelalter

Die Nacht wirkte im Mittelalter sehr viel eindrucksvoller auf die Menschen als heute, wo elektrische Beleuchtung allgegenwärtig ist. In unserer Zeit ist es nachts in den Städten so hell, dass es kaum möglich ist, den Sternenhimmel zu beobachten – im Mittelalter hingegen herrschte in der Nacht noch wirklich Dunkelheit. Die Landschaft war viel dünner besiedelt als heute und zu einem großen Teil mit Wald bedeckt. Licht in Form von Kerzen, Öllampen, Kienspänen, dem Herdfeuer etc. beleuchtete nur einen kleinen Bereich, kostete Geld und war mit Brandgefahr verbunden. Die Dunkelheit der Nacht erschien den Menschen deshalb undurchdringlich und bedrohlich.

Wald bei Nacht
© Pit1233 - CC0 1.0 (via Wikimedia Commons)

Das Thema „Nacht im Mittelalter“ hat zwei Ebenen: Einerseits ist die Nacht ein Naturphänomen und andererseits beeinflusste sie die Fantasie der Menschen. Sie schürte vielfältige Ängste und war im Mittelalter eine Quelle des Aberglaubens. Mit der Nacht ist außerdem eine reiche Symbolik verbunden.

Laut der mittelalterlichen Zeiteinteilung wurden der Tag und die Nacht in jeweils zwölf Stunden eingeteilt, die sich in den verschiedenen Jahreszeiten in ihrer Länge veränderten. Die Nachtstunden verkürzten sich im Sommer auf ca. 40 Minuten und verlängerten sich im Winter auf bis zu 80 Minuten. Diese Zeiteinteilung wurde bis ins 13. Jahrhundert benutzt.

Nachtarbeit war unerwünscht und häufig in den Regeln der Zünfte oder ganz allgemein verboten. Begründet wurde dies mit der Gefahr, ein fehlerhaftes Produkt herzustellen, sowie mit der Brandgefahr. Ein weiteres Argument war die Ruhe der Nachbarn. Die nächtliche Beförderung von Waren war untersagt, um Diebstähle zu vermeiden.

Philosophische und religiöse Vorstellungen über die Nacht

Das Licht wurde von Gott geschaffen, die Nacht ist jedoch die Abwesenheit von Licht. Sie hat keine Substanz und wurde daher im Mittealter mit dem Schweigen oder dem Bösen – als Abwesenheit von etwas – gleichgesetzt.

Die Nacht wurde im Mittelalter unter anderem über ihre Schädlichkeit definiert. Nach Isidor von Sevilla wird die Nacht (nox) so bezeichnet, weil sie dem Augenlicht schadet (eo quod oculis noceat) und den Menschen blind zurücklässt. Außerdem kann der Mensch in der Nacht nicht mehr seinen alltäglichen Verrichtungen nachgehen. Die Dunkelheit der Nacht nützt nur denjenigen, die anderen Menschen schaden, und zwar den Räubern und Dieben. Hrabanus Maurus beschreibt als Werke der Nacht Unzucht, Ehrlosigkeit, Schamlosigkeit, Götzendienst, lästerliche Reden etc. Deshalb galt: Nox nemini amica. - „Die Nacht ist niemandes Freundin.“

Die Nacht galt als Symbol des Todes, sie gehörte den Toten. Nächtliche Arbeit wurde als gefährlich angesehen, da die Toten nachts umgingen. Der Tag gehörte den Lebenden; die Lebenden durften nicht die Grenzen des ihnen zugeteilten Raumes überschreiten, sonst bestand die Gefahr, dass die Toten sie zu sich holten. Vorstellungen von einem Zug der Toten oder einem „wilden Heer“ gehen auf heidnische Glaubensvorstellungen von einem Heer unsterblicher Vorväter zurück.

Wesen der Nacht

Mit nachtaktiven Tieren waren im Mittelalter abergläubische Vorstellungen verbunden. Man glaubte, dass Nachtvögel wie die Eule und die Schleiereule den Tod eines Menschen verkündeten. Im Gegensatz dazu wurden Vögel mit schönem Gesang wie Nachtigall und Lerche positiv gesehen.

Hieronymus Bosch, Das Eulennest, 1505-1516
Hieronymus Bosch, Das Eulennest, 1505-1516

In der Vorstellung mittelalterlicher Menschen gingen in der Nacht schreckliche Wesen um, wie Dämonen, Werwölfe, Lamien und Strigas, Feen, Zwerge und Riesen. Die Dämonen als Bewohner des Jenseits überschritten die Grenzen zur Welt der Lebenden am leichtesten in der Nacht, wenn diese Grenzen durchlässig waren.

Die Dämonen konnten den Menschen in hässlicher Gestalt, aber auch schön erscheinen. Die Dämonen besitzen zwar einen realen Körper, ihre Gestalt ist aber unbeständig. Ihr Körper erscheint defekt, z.B. berichtet Caesarius von Heisterbach von dem Teufel, der eine Jungfrau als schöner Jüngling verführen will, der jedoch keinen Rücken hat.

Martin Schongauer, Die Versuchung des hl. Antonius, 1470-75
Martin Schongauer, Die Versuchung des hl. Antonius, 1470-75

Lamien waren bereits in der Antike bekannt. Nach mittelalterlicher Vorstellung waren es Frauen, die fliegen konnten und nachts in Häuser eindrangen, Geschirr zerschlugen, Kinder aus der Wiege warfen, Speisen aßen, die nicht bedeckt waren, usw. Den Schlafenden bescherten sie Albträume. Manche Lamien entführten Kinder und legten ihre eigenen Kinder an ihre Stelle. Diese Nachtwesen wurden auch Strigas genannt.

Positive Seiten der Nacht

Andererseits sahen die Menschen im Mittelalter auch Positives an der Nacht. Die Nacht ermöglicht den Menschen Erholung von der Arbeit. Von den Mühen des Tages frei zu sein, erlaubt es den Menschen nachzudenken und dabei Rat und Trost zu finden. Die Sommernacht kann das Bedürfnis nach ästhetischem Genuss wecken. Der schöne Gesang der Nachtigall ist ein verbreiteter literarischer Topos.

Die Nacht durfte nach Ansicht des Burkhardt von Worms nicht als rein schädlich und aus der Weltordnung herausgelöst gesehen werden, denn Gott hatte den Tag und die Nacht geschaffen. Die negativen Seiten der Nacht überwogen jedoch in der Vorstellung der mittelalterlichen Menschen, denn sie fühlten sich der Nacht und ihren Gefahren unmittelbar ausgeliefert, sie konnten sie nicht wie wir aus einer gewissen Distanz betrachten.

Ausschnitt aus dem Codex Manesse mit Tageliedern Wolframs von Eschenbach
Ausschnitt aus dem Codex Manesse mit Tageliedern Wolframs von Eschenbach © Lau2210 - CC BY-SA 3.0 (via Wikimedia Commons)

Die Morgenröte ist aus mittelalterlicher christlicher Sicht ein Zeichen der Erlösung. Sie bedeutet die Ankunft Gottes. Im Tagelied, einem Genre der mittelalterlichen Lyrik, wurde diese Wertung jedoch umgekehrt: Die Morgenröte beendete die Nacht der Liebenden, die sich bei Tagesanbruch trennen müssen.

Literaturhinweis:

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2 Gedanken zu „Die Nacht im Mittelalter

  1. Pingback: Der Herold 06/16: Ein Brunnen, eine Wandmalerei und verfallende Rittergüter | SACHSENspiegler

  2. Jens-Dero

    Schön und anschaulich beschrieben.
    Verleitet zu Gedankenspielen, dies mit dem heutigen Bezug zur Nacht, insbesondere bei Stadtmenschen, abzugleichen.

    Mein Motto ist schon lange "Carpe noctem", selbst ohne oder mit wenig körperlichem Schlaf finde ich in ihr Erholung, und hatte so manchen "Geistesblitz".

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