Springe zum Inhalt

Das Hildebrandslied

Das Hildebrandslied ist ein germanisches Heldenlied. Dieses Genre entstand ungefähr vom 5. bis 8. Jahrhundert, die Lieder wurden damals nur mündlich überliefert. Als einziges deutsches (genauer: althochdeutsches) Heldenlied ist das Hildebrandslied bis in unsere Zeit erhalten geblieben. In der Vita Karoli Magni wird erwähnt, dass Karl der Große Heldenlieder sammelte, aber Genaueres wissen wir über diese Sammlung nicht. Germanische Heldenlieder sind sonst nur aus anderen Sprachen bekannt, zum Beispiel das altnordische Ältere Atlilied oder das altenglische Finnsburglied.

Anfang des Hildebrandsliedes
Anfang des Hildebrandsliedes

Das Hildebrandslied entstand vermutlich in der zweiten Hälfte des 8. Jh. Um 830/840 schrieben es zwei Personen von einer Vorlage ab, und zwar auf die beiden Außenseiten einer theologischen Pergamenthandschrift aus dem Kloster Fulda. Das Lied enthält 68 Verse, die jedoch nicht in Versform, sondern fortlaufend geschrieben wurden. Der Schluss des Liedes wurde entweder nicht niedergeschrieben oder er ging verloren. Wir haben nur eine einzige Handschrift vom Hildebrandslied. Diese gelangte nach 1945 als Kriegsbeute in die USA. 1972 kam das letzte der beiden Blätter wieder zurück nach Deutschland. Die Handschrift wird in der Universitätsbibliothek Kassel aufbewahrt.

Inhalt

Das Lied beschreibt den Kampf von Hildebrand (Hiltibrant) gegen seinen Sohn Hadubrand (Hadubrant). Sie sind Krieger in zwei gegnerischen Heeren, die einander vor Beginn der Schlacht zum Zweikampf herausfordern. Ausführlich wird der Dialog wiedergegeben, den beide vor dem Kampf führen. Hildebrand fragt seinen Gegner nach seiner Herkunft und Familie. Hadubrand antwortet, sein Vater heiße Hildebrand und sei vor langer Zeit mit Dietrich (Theotrih/Detrih/Deotrich) und seinen Kriegern fortgegangen. Dabei habe sein Vater seine Braut und ihn, Hadubrand, in der Heimat zurückgelassen. Wie ihm Seeleute berichtet hätten, sei sein Vater inzwischen gestorben.

Hildebrand erkennt daraufhin, dass er seinem Sohn gegenübersteht. Er gibt sich als Hadubrands Verwandter zu erkennen bietet ihm „aus Freundschaft“ goldene Armringe an. Hadubrand vermutet dahinter jedoch eine List und lehnt ab. Er meint, der fremde Krieger wolle ihn angreifen, während er ihm (wie es üblich war) das Geschenk von Speerspitze zu Speerspitze übergeben würde. Er sagt, dass sein Vater Hildebrand ein armer Flüchtling sein müsse, sein Gegner sei aber offensichtlich reich und könne kein Flüchtling sein, da er eine kostbare Rüstung trage. Hildebrand sieht ein, dass ein Kampf gegen seinen Sohn unausweichlich ist. Er beklagt, dass er seinen Sohn töten muss oder dieser ihn.

Der Kampf der beiden Männer wird am Schluss der Handschrift beschrieben. Sie werfen zunächst ihre Speere aufeinander und kämpfen anschließend mit ihren Schwertern. Wie der Kampf ausgeht, steht dort nicht, kann aber aus Hildibrands Sterbelied erschlossen werden, einem altnordischen Heldenlied. Es ist in der Ásmundar saga kappabana (Saga von Asmund dem Kämpentöter) und in der Lieder-Edda enthalten. Daraus geht hervor, dass Hildibrand seinen Sohn im Kampf getötet hat, denn sein Porträt ist auf Hildibrands Schild abgebildet, zusammen mit den Bildnissen anderer Männer, die Hildibrand getötet hat. Diesen Schild beschreiben auch der Däne Saxo Grammaticus und der Dichter einer färingischen Ballade.

In einer späteren Version endet der Kampf mit einer Versöhnung von Vater und Sohn. Dies wird in der Þidrekssaga (13. Jh.) und im Jüngeren Hildebrandslied (um 1500) beschrieben.

Möglicherweise geht der Inhalt des Hildebrandsliedes auf eine gemeinsame indogermanische Tradition zurück, denn es gibt auch in der irischen, altrussischen und persischen Dichtung Erzählungen von einem Vater-Sohn-Kampf. Es könnte aber auch sein, dass das Hildebrandslied unabhängig von diesen Traditionen entstanden ist, denn es enthält nicht die Suche des Sohnes nach seinem Vater wie in den persischen, altrussischen und irischen Erzählungen.

Metrik

Eine Besonderheit des Hildebrandsliedes ist der Stabreim, wie er in der germanischen Dichtung üblich war. Unter einem Stabreim (Alliteration) versteht man den Gleichklang der Anlaute. Gleiche Konsonanten (z.B. Hiltibrant und Hadubrant) oder beliebige Vokale (z. B. urhettun und aenon) bilden einen Stabreim. Wichtig ist dabei, dass es sich um Hebungssilben handelt, d. h. um betonte Silben.

Stabreimverse bestehen aus Langzeilen, die in zwei Hälften geteilt werden, den An- und Abvers. Der Anvers besitzt zwei Haupthebungen, ebenso der Abvers, sodass pro Zeile höchstens vier Stäbe möglich sind, wie in folgendem Beispiel: spénis mih mit dinem wórtun, wili mih dinu spéru wérpan (V. 40). Meist gibt es drei Stäbe pro Zeile, im Abvers oft nur auf der ersten Hebung: dés sid Détrihhe dárba gistúontun (V. 23). Es müssen mindestens zwei Stäbe pro Langzeile vorhanden sein, d. h. ein Stab pro Vershälfte, wie in folgender Zeile: árbeo láosa: her reit óstar hína (V. 22). Zwischen den Hebungen kann eine beliebige Anzahl von Silben stehen.

Die Regeln des germanischen Stabreimverses wurden im Hildebrandslied allerdings nicht immer beachtet: Es gibt Doppelstäbe im Abvers (V. 17), zweifache Stabreime in der Form abab (V. 40), einzelne Endreime (V. 67) und prosaähnliche Zeilen (V. 29).

Der Kontext der Zweikampfsituation

Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Hildebrandslied und der späteren mittelhochdeutschen Epik um Dietrich von Bern. Im Hildebrandslied wird Hildebrand als Gefolgsmann Dietrichs dargestellt, mit dem er vor langer Zeit außer Landes floh. Im Nibelungenlied ist Hildebrand Dietrichs Waffenmeister.

Goldmünze (Solidus) mit dem Bildnis Theoderichs des Großen
Goldmünze (Solidus) mit dem Bildnis Theoderichs des Großen. Urheber: unbekannt (via Wikimedia Commons, CC BY 3.0)

Der Name Dietrich von Bern bezieht sich auf den Ostgotenkönig Theoderich, der von 490 bis zu seinem Tod 526 in Italien herrschte. (Mit Bern ist dabei das italienische Verona gemeint.) In der germanischen Dichtung werden oft Ereignisse aus verschiedenen Zeiten miteinander vermischt, sodass Dietrich als Neffe von Ermanarich (gest. 375) dargestellt wird und an den Hof des Hunnenkönigs Attila zieht, obwohl dieser bereits im Jahr 453 gestorben war. Vermutlich haben sich die Dichter die spannendsten Stoffe aus verschiedenen Zeiten herausgepickt und miteinander kombiniert, und sie wollten vielleicht eher die innere Wahrheit einer Geschichte wiedergeben als die exakten Daten eines Ereignisses.

Hinzu kommt in Theoderichs Fall absichtliche Geschichtsfälschung: Theoderich hatte seinen Mitregenten Odoaker im Jahr 593 bei einem Gastmahl getötet. Dies geschah vor allem aus machtpolitischen Gründen, wurde an Theoderichs Hof jedoch so dargestellt, als ob Theoderich einem Anschlag Odoakers zuvorkommen und Rache für getötete Verwandte nehmen wollte. In der Dichtung wurden die Ereignisse dann völlig umgekehrt: Theoderich/Dietrich wurde zum Flüchtling gemacht, der angeblich von Odoaker aus seinem angestammten Land vertrieben worden war. Dieses Motiv taucht bereits im Hildebrandslied auf. Auch Attila wird in dem Lied erwähnt, aber nur, um Hildebrands biografischen Hintergrund zu illustrieren. Bei den aktuellen Ereignissen spielen Dietrich und Attila keine Rolle.

In der älteren Forschung wurde angenommen, dass es sich bei Hildebrand und Hadubrand um zwei Heerführer (oder von ihnen beauftragte Kämpfer) handelte, die einen Stellvertreterkampf ausfechten, um den Kampf ganzer Heere und den Tod vieler Männer zu vermeiden. Dies ist jedoch unklar, da in dem Lied selbst nichts davon steht.

Ute Schwab geht davon aus, dass Hildebrand und Hadubrand einander im Vorfeld einer Schlacht begegnen. Nach der Schilderung des Prokop von Caesarea (um 500-562) kam es vor, dass gegnerische Heere manchmal wochenlang einander gegenüber lagerten und niemand mit der Schlacht beginnen wollte. In dieser Phase rüsteten sich jedoch immer wieder Männer aus eigenem Antrieb zum Kampf und forderten einander heraus. Ihre Beweggründe waren Kampflust oder Beutegier. Beide Motive werden auch im Hildebrandslied erwähnt, z. B. als Hildebrand spekuliert, wer von beiden wohl die Rüstung des anderen erbeuten werde. Prokop berichtet in seiner Gotengeschichte von solchen Zweikämpfen aus dem 6. Jahrhundert in Italien. Damals führte der byzantinische Kaiser einen Feldzug gegen die Ostgoten zur Rückeroberung Italiens. Wie Ute Schwab meint, könnte Hildebrand ein Angehöriger des byzantinischen Heeres gewesen sein und Hadubrand gehörte zu den ostgotischen Verteidigern. Dazu passt auch Hildebrands Aufenthalt am Hunnenhof, da auch Hunnen und Angehörige anderer Völker im byzantinischen Heer kämpften.

Grundsätzlich erscheint die beschriebene Zweikampfsituation plausibel: Zwei einander unbekannte Kämpfer aus gegnerischen Heeren fordern sich vor Beginn einer Schlacht spontan zum Zweikampf heraus. Von Prokop wissen wir, dass solche Kämpfe für Zeitgenossen offenbar ein wohlbekanntes Ereignis waren. Daher hielt der Dichter des Hildebrandsliedes es vermutlich nicht für notwendig, diese Situation näher zu erklären. Eine solche Situation ist im Fall von Hildebrand und Hadubrand auch glaubwürdiger als ein Stellvertreterkampf, der sicher erst nach langen Verhandlungen und unter Teilnahme einer großen Öffentlichkeit stattgefinden hätte. Dabei wäre es sehr wahrscheinlich gewesen, dass weitere Personen außer Hildebrand die enge Verwandtschaft der Kämpfer entdeckt und den Vater-Sohn-Kampf verhindert hätten.

Zu welchen Heeren Hildebrand und Hadubrand gehörten, muss jedoch offen bleiben. Im Lied selbst werden die Männer aus Hildebrands Heer als „Ostleute“ bezeichnet, was auf das byzantische Heer zutreffen könnte, aber letztlich nicht eindeutig bestätigt werden kann.

Möglicherweise wollte der Dichter gar nicht auf ein bestimmtes historisches Ereignis hinaus. Es könnte sein, dass er den historischen Kontext des Liedes absichtlich offenließ, da es ihm in erster Linie darauf ankam, ein Ereignis von menschlicher Tragik darzustellen. Dieses hätte während der von kriegerischen Konflikten geprägten Völkerwanderungszeit zu irgendeinem Zeitpunkt stattfinden können. Außerdem soll noch einmal daran erinnert werden, dass in der germanischen Heldendichtung ohnehin verschiedene Zeiten und Ereignisse miteinander kombiniert wurden, sodass sich auch Personen trafen, die zu verschiedenen Zeiten lebten, so wie auch hier Attila und Dietrich von Bern als Bezugspersonen Hildebrands erwähnt werden. Daher geht die Frage nach einer genauen historischen Einordnung des Hildebrand-Stoffes möglicherweise fehl.

Warum kann Hildebrand sich dem Kampf gegen seinen Sohn nicht entziehen?

Aus moderner Sicht ist es schwer vorstellbar, warum Hildebrand keine Möglichkeit haben sollte, den Kampf gegen seinen Sohn Hadubrand zu verweigern. Aus damaliger Sicht war der Kampf jedoch unausweichlich. Um dies zu verstehen, sollten wir uns zunächst genau ansehen, wie es zu dem Kampf kommt. Was denkt Hadubrand, was denkt Hildebrand und warum handeln sie so, wie sie handeln?

Hadubrand ist sich sicher, dass sein Vater Hildebrand tot ist. So haben es ihm Seefahrer erzählt und er hat keinen Grund, daran zu zweifeln. Er hält es für unglaubwürdig, dass sein Gegner, der eine wertvolle Rüstung trägt, ein Flüchtling wie sein Vater ist, da Flüchtlinge normalerweise arm sind. (Für die Überlegungen von Ohlenroth, dass Hadubrand seinen Vater absichtlich nicht erkennen will, da er mit einem lebenden Vater Nachteile im ostgotischen Heer befürchten müsste, gibt es m.E. keine Grundlage.) Daher kann es sich aus Hadubrands Sicht nur um eine List handeln, als der alte Mann behauptet, sein Vater zu sein, und ihm „aus Freundschaft“ goldene Armringe anbietet. Aufgrund der damaligen Sitte, Gaben mit dem Speer weiterzureichen bzw. entgegenzunehmen, wäre die Übergabe eine gute Möglichkeit für den Alten, seinen nichts ahnenden Gegner mit dem Speer zu bekämpfen. Eine derartige List befürchtet Hadubrand und deshalb weist er das Freundschaftsangebot des Alten zurück. Es steht nun der Verdacht im Raum, dass Hildebrand aus Feigheit List gebraucht, und dies ist für Hildebrand aufgrund der damaligen Vorstellungen von Kriegerehre ein untragbarer Vorwurf.

Der Vorwurf, feige (arg, arga) zu sein, war in der Völkerwanderungszeit und dem frühen Mittelalter eine sehr ernste Sache, die sogar in einem Gesetz geregelt wurde, nämlich im langobardischen Edictum Rothari von 643. Baesecke zitiert daraus wie folgt:

'Wenn jemand einen andern im Zorn arga genannt hat und es nicht leugnen kann und sagt, daß er es im Zorne gesagt habe, dann soll er unter Eid sagen, daß er ihn nicht als arga erkannt habe; dann soll er für das beleidigende Wort zehn solidos [Goldmünzen, d. Verf.] erlegen. Wenn er aber dabei bleibt, soll er es durch Zweikampf erhärten, 'wenn er kann' (oder wenigstens zahlen wie oben). Dieser Zweikampf ist es, den Hildebrand nicht weigert, als Hadubrand die Beleidgung 'erhärten' will, 'wenn er kann'.

Hildebrand erkennt, dass er keine Wahl hat und gegen seinen Sohn kämpfen muss. Er akzeptiert das grausame Schicksal mit dem Ausruf wewurt skihit, „Unheil geschieht“. Die Tragik des Hildebrandsliedes besteht somit nicht in einem inneren Konflikt Hildebrands, sondern in den beiden Alternativen, dass entweder der Vater den Sohn töten muss oder umgekehrt. Eine friedliche Lösung war nach den damaligen Ehrvorstellungen nicht möglich.

Quellen- und Literaturhinweise:

* Affiliate-Link zu Amazon.de. Wenn du etwas über einen dieser Links kaufst, bekomme ich eine kleine Provision, ohne dass du dafür mehr bezahlen musst.

2 Gedanken zu „Das Hildebrandslied

  1. Diether Schürr

    Weder ist das Hl. ein 'germanisches' Heldenlied (ebensowenig wie altnordische Heldenlieder oder das altenglische Finnsburgfragment), noch bezeugt die Asmundarsaga oder Saxo Grammaticus irgendetwas über den Ausgang dieses Lieds, weil sie eine völlig andere Sage behandeln, auch wenn der getötete Halbbruder in der Saga Hildibrandr statt Hildigerus heißt. Der getötete Sohn ist nur bei Saxo auf den Schild inmitten anderer Opfer abgebildet, in der Saga wird er in einem Anfall von Berserkerwut unmittelbat vor dem Kampf mit dem Halbbruder getötet.

    1. Björn

      Hallo Diether,

      "germanisch" ist natürlich als sprachlicher Begriff gemeint, der sich auf die germanischen Sprachen innerhalb der indogermanischen Sprachfamilie bezieht und nicht auf "die Germanen" als ethnischer Begriff. Dass es "die Germanen" mit einem ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühl nicht gab, ist klar, ist aber hier nicht Thema.

      Da das Ende des Liedes nicht überliefert ist, lädt dies natürlich zu Vermutungen und Spekulationen ein, und natürlich suchen die Wissenschaftler dabei nach Hinweisen in anderen literarischen Werken. Ob der bei Saxo Grammaticus beschriebene Schild einen Bezug zum Hl. hat oder nicht, wird sich wohl nicht abschließend klären lassen, aber möglich wäre es.

      Viele Grüße
      Björn

Kommentare sind geschlossen.

RSS