Springe zum Inhalt

Juden im Mittelalter – Teil 1: Die Blütezeit der Würzburger Gemeinde

Heute möchte ich eine kleine dreiteilige Serie starten, in der ich mich mit dem Leben der Juden im Mittelalter beschäftige. Dabei setze ich meinen Schwerpunkt auf Franken, vor allem Würzburg. In Franken leben seit dem 11. Jahrhundert Menschen jüdischen Glaubens. Im Gegensatz zu anderen Territorien des Deutschen Reiches wurden Juden von hier nie dauerhaft vertrieben. Besonders in Unterfranken gab es bis zur Nazizeit viele jüdische Gemeinden. Die Würzburger Gemeinde mit zeitweise rund 900 Menschen war aufgrund zahlreicher gelehrter Persönlichkeiten im Mittelalter europaweit bekannt. Bevor ich zu meinem regionalgeschichtlichen Schwerpunkt komme, gehe ich kurz auf die Rahmenbedingungen ein, unter denen die Juden während des Mittelalters in Deutschland lebten.

Juden im frühen und hohen Mittelalter

Im frühen Mittelalter lebten Juden in Mitteleuropa weitgehend ungestört. Viele Juden waren im Fernhandel tätig und versorgten die Oberschicht mit Luxuswaren. Am Hof Karls des Großen (768-814) wirkte ein Jude namens Isaak. Im Rheinland entstand das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der deutschen Juden. So gab es in Worms bereits zu Beginn des 11. Jh. eine Synagoge.

Auch aus dem süddeutschen Raum sind Quellen überliefert, die die Anwesenheit von Juden belegen. Der Erzbischof Arno von Salzburg (798-821) verlangte ausdrücklich nach einem jüdischen oder slawischen Arzt. In der Zollordnung von Raffelstetten an der Enns (903/906) werden Juden als Händler erwähnt. Bis 1096 konnte sich die jüdische Kultur in Deutschland weitgehend unbehelligt entwickeln. Es gab nur vereinzelt Judenvertreibungen, zum Beispiel 1012 in Mainz durch Kaiser Heinrich II.

Im hohen Mittelalter besann man sich auf den Codex Theodosianus aus dem Jahre 438 n. Chr., in dem Kaiser Theodosius II. Juden von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen hatte. Außerdem verbot er ihnen, Christen zum Abfall von ihrem Glauben zu bewegen. Der Codex Theodosianus bildete die Grundlage für den Rechtsstatus der Juden ab dem hohen Mittelalter. Sie wurden als den Christen untertan angesehen (die sog. Judenknechtschaft) und unterstanden dem Schutz des Königs. Im Gegenzug mussten sie dem König Abgaben leisten.

Papst Innozenz II. (1198-1216) verbot den Christen das Annehmen von Zinsen. Den Juden war dies weiterhin erlaubt, wodurch sie indirekt in das Bankgeschäft gedrängt wurden.

Als problematisch erwies sich die Übertragbarkeit des Judenschutzes auf Lehensleute. Dadurch wurden die Juden zum Spielball politischer und wirtschaftlicher Interessen der Mächtigen. Darüber hinaus reichte der Judenschutz seit dem ersten Kreuzzug nicht aus, um die Juden vor Übergriffen von Christen zu schützen.

Juden in Franken

Im 12. Jh. berichtet der Autor Benjamin von Tudela, dass in Franken, namentlich in Würzburg und Bamberg, „viele Israeliten“ wohnten, und zwar „weise und reiche Leute“. Vor der großen Judenverfolgung von 1349 gab es jüdische Gemeinden unter anderem in Klingenberg, Freudenberg, Tauberbischofsheim, Grünsfeld, Königheim und Lauda. In Miltenberg und Bamberg haben sich bis heute Reste von zwei mittelalterlichen Synagogen erhalten.

In Würzburg sind erst nach 1096 Juden nachgewiesen. Vermutlich ließen sich hier Juden aus dem Rheinland nieder, die vor dortigen Verfolgungen geflüchtet waren. Im 13. Jh. arbeitete der Jude Jechiel als Münzmeister des Bischofs Otto von Lobdeburg (1207-1223). Auf einem Würzburger Pfennig dieser Zeit ist auf der Vorderseite der Name des Bischofs und auf der Rückseite der Name Jechiels in hebräischen Buchstaben zu sehen.

Die Blütezeit der Würzburger Gemeinde

Zwischen 1147 und 1298, nachdem die Judenverfolgungen des zweiten Kreuzzuges vorüber waren und bevor eine weitere große Verfolgung begann, erlebte die jüdische Gemeinde in Würzburg eine Periode relativer Sicherheit. Diese ermöglichte eine wirtschaftliche und kulturelle Blüte.

Judenplatz im mittelalterlichen Würzburg
Holzschnitt aus der Cosmographia (1548) von Sebastian Münster. Damals wurde der Obere Markt noch als Judenplatz bezeichnet. An der Stelle der hier "Unser Frawen Capel" genannten Marienkapelle stand bis 1349 die Hauptsynagoge der jüdischen Gemeinde Würzburgs.

Das jüdische Viertel befand sich damals im Bereich von Schustergasse und Schmalzmarkt (die früher beide „Judengasse“ genannt wurden) sowie dem Oberen Markt. Das Judenviertel reichte nicht bis zur Domstraße und dem damals dort befindlichen Markt, war aber kein Ghetto und nicht streng von den christlichen Vierteln getrennt. Auch einzelne Christen lebten dort oder besaßen dort Grundstücke, wie auch einzelne Juden in christlichen Vierteln wohnten. Aus dem Jahr 1347 ist belegt, dass ein Jude am anderen, linken Mainufer lebte. Am Sumpf Rigol, der sich im Bereich des heutigen Marktplatzes befand, wurde 1140 (zunächst unter einem anderen Namen) das Dietrichspital errichtet, das viele Kreuzzugsrückkehrer aufnahm. Somit stand eine der karitativen Haupteinrichtungen der Christen in der Nähe des Judenviertels.

Den Mittelpunkt des jüdischen Viertels bildete die 1170 erstmals erwähnte „Judenschule“ („schola Judaeorum“), d.h. die Synagoge. Sie stand bis 1349 an der Stelle der heutigen Marienkapelle. In der Nähe der Synagoge siedelten sich nach 1147 die aus anderen Städten kommenden Juden an. Im Jahr 1238 waren rund 30 Grundstücke in jüdischem Besitz.

Ganz konfliktfrei war das Zusammenleben zwischen den Würzburger Juden und ihren christlichen Nachbarn nicht, denn die Juden waren auf den Schutz des Bischofs angewiesen, der zugleich der Würzburger Stadtherr war. Daher standen sie während der Streitigkeiten zwischen Bürgerschaft und Bischof, die Mitte des 13. Jh. begannen, zwangsläufig auf der Seite des Bischofs.

Die jüdische Gemeinde war groß, um 1298 bestand sie aus rund 800 Personen. Die Gemeinde besaß mindestens zwei Synagogen, einen großen Friedhof am Standort des heutigen Juliusspitals und ein Lehrhaus, das vor allem dem Studium religiöser Schriften diente. Um 1230 entstand am Rigol die Herberge der Gemeinde. Da viele jüdische Flüchtlinge nach Würzburg kamen, wurde sie später eine der wichtigsten sozialen Institutionen der Stadt. Die Würzburger Gemeinde wurde im 13. Jh. zum Zentrum des jüdischen Lebens in Franken.

mittelalterlicher jüdischer Friedhof in Würzburg
Der seit 1147 bestehende mittelalterliche jüdische Friedhof nach einer Darstellung aus der Cosmographia von Sebastian Münster. An dieser Stelle befindet sich seit 1585 das Juliusspital.

Im 12. und 13. Jh. wirkten in Würzburg international hoch angesehene Gelehrte, um die sich ein Kreis von bedeutenden Schülern versammelte. Eine Hochschule (Jeschiwa) bestand vermutlich schon um 1200. Würzburg war hinsichtlich der Gottesdienstordnung in Franken führend. Auch in Bezug auf das jüdische Erb- und Eherecht orientierten sich einige Gemeinden an den Würzburger Rabbinern. Würzburg war ein Zentrum des „Talmud Tora“, d.h. der Lehre, des Studiums und der Weiterentwicklung des traditionellen jüdischen Wissens.

Die wichtigste Persönlichkeit in der jüdischen Welt des 13. Jh. war Rabbi Meir ben Baruch (1220-1298), auch Meir von Rothenburg genannt. Er war zunächst Schüler an der Würzburger Jeschiwa und später in Paris, wo der berühmte Talmudist Rabbi Jechiel sein Lehrmeister wurde. Rabbi Meir zog von Gemeinde zu Gemeinde, wirkte in Würzburg, Konstanz, Worms, Nürnberg, Mainz und Rothenburg. Auch aus dem Ausland wandte man sich in schwierigen Fällen an ihn, so aus Böhmen, Österreich und Frankreich. Dabei ging es z.B. um Fragen zu geschäftlichen Transaktionen, zum Grundstücksrecht, zu Erbfragen und Heiratsverträgen, zum Pfandrecht, der Stellung von Dienern und Angestellten, Besteuerung und Gemeindeverwaltung. Etwas 1500 von Rabbi Meirs Antworten sind überliefert.

Grabstein des Rabbi Meir von Rothenburg
Grabstein des Rabbi Meir von Rothenburg auf dem Heiligen Sand (jüdischer Friedhof) in Worms

Bei Bauarbeiten im Würzburger Stadtteil Pleich fand man im Jahr 1987 insgesamt 1456 mittelalterliche jüdische Grabsteine und Grabsteinfragmente. Einer davon gehört Rabbi El'asar ben Moscheh, der 1286 starb. Aufgrund seines Wirkens erreichte die Würzburger Gemeinde vermutlich den Höhepunkt ihres Ansehens. Er war Kabbalist und verfasste den Sefär Gematrijot, in der er sich mit den Zahlenwerten der hebräischen Buchstaben im Pentateuch beschäftigte. Auf seinem Grabstein heißt es:

Als da starb Rabbi 'Ela'sar, der Sohn des Herrn Moscheh, des Schriftauslegers, wurden die Quellen der Weisheit verstopft.

Dieser und andere Grabsteine sind heute im Jüdischen Museum ausgestellt.

In Würzburg wirkte außerdem Rabbi Menachem ben Natronaj, der auch Rabbi Koplin genannt wurde. Er war Leiter und Repräsentant der Würzburger Gemeinde am Ende des 13. Jahrhunderts und nahm 1287/88 an einer Konferenz der wichtigsten jüdischen Gemeinden teil, die über den Umgang mit den finanziellen Belastungen durch König Rudolf von Habsburg berieten. Auf der Website der jüdischen Gemeinde ist eine Liste der Würzburger Rabbiner und Rechtsgelehrten seit dem Mittelalter zu finden.

Möglicherweise lebte zu Beginn des 13. Jh. ein weiterer berühmter Jude, der Minnesänger Süßkind von Trimberg, in Würzburg. Ein Süßkind ist in Urkunden aus dieser Zeit belegt, aber es ist nicht bewiesen, dass es sich um den Minnesänger handelt, denn Süßkind war im Mittelalter ein beliebter jüdischer Name.

Süßkind von Trimberg auf einer Darstellung aus der Manessischen Liederhandschrift
Der Minnesänger Süßkind von Trimberg (rechts) auf einer Darstellung aus der Manessischen Liederhandschrift. Süßkind ist durch den Judenhut und den Bart als Jude gekennzeichnet.

Den mittelalterlichen jüdischen Grabsteinen lässt sich entnehmen, dass viele Würzburger Juden über ein hohes Bildungsniveau verfügten. Auf zahlreichen Grabsteinen ist das Wort Chaver zu finden, d.h. Laiengelehrte, die nicht über die Ordination eines Rabbiners verfügten, aber eine ebenso hohe Ausbildung genossen hatten. Dies deutet auch darauf hin, dass viele Gemeindemitglieder über einen gewissen wirtschaftlichen Wohlstand verfügten und sich Privatlehrer für ihre Kinder leisten konnten. Die Mehrheit der Gemeinde gehörte demnach der Mittelklasse an.

Im Jahr 1298 ereignete sich eine große Verfolgung, die die Blütezeit der Würzburger Gemeinde beendete. Die Gemeinde ging schließlich 1349 unter, als es aufgrund der Pest und Gerüchten um Brunnenvergiftungen zu europaweiten Judenverfolgungen kam. Darauf werde ich im zweiten Teil genauer eingehen.

Verwendete Literatur:

* Affiliate-Link zu Amazon.de. Wenn du etwas über einen dieser Links kaufst, bekomme ich eine kleine Provision, ohne dass du dafür mehr bezahlen musst.

3 Gedanken zu „Juden im Mittelalter – Teil 1: Die Blütezeit der Würzburger Gemeinde

  1. Pingback: Gastbeitrag: Juden im Mittelalter, Teil 2 | der quâtspreche

  2. Jürgen Kristin

    Ich habe gelesen, dass es in Würzburg eine "Judensäule" gibt. Was hat es mit ihr auf sich? - In der Nähe meiner Stadt Bad Schmiedeberg gibt es einen Flurnamen "Judensäule". Leider weiß heute keiner mehr etwas mit dieser Bezeichnung anzufangen.
    Können Sie weiterhelfen?

Kommentare sind geschlossen.

RSS