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Mittelhochdeutsch – die Sprache des Hochmittelalters

Der Anfang des Nibelungenliedes in Manuskript C, um 1220-1250
Der Anfang des Nibelungenliedes in Manuskript C, um 1220-1250

Uns ist in alten mæren wunders vil geseit
von helden lobebæren, von grôzer arebeit,
von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen,
von küener recken strîten muget ir nu wunder hœren sagen.

Diese mittelhochdeutschen (mhd.) Zeilen stammen aus dem Nibelungenlied und wirken auf den ersten Blick wie eine Fremdsprache, obwohl manche Wörter dir sicher bekannt vorkommen. Ins Neuhochdeutsche (Nhd.) übertragen, lautet der Text so:

In alten Geschichten wird uns vieles Wunderbare berichtet: von
ruhmreichen Helden, von hartem Streit, von glücklichen Tagen
und Festen, von Schmerz und Klage, vom Kampf tapferer Re-
cken: Davon könnt auch Ihr jetzt Wunderbares berichten hören.

Wann wurde Mittelhochdeutsch gesprochen?

Mittelhochdeutsch ist die Sprache des Hochmittelalters und des beginnenden Spätmittelalters. Es wurde von etwa 1050 bis 1350 geschrieben und gesprochen. Das klassische Mittelhochdeutsch, in dem viele Werke der höfischen Literatur abgefasst wurden, sprach man ungefähr von 1170 bis 1250.

Das Mittelhochdeutsche war keine einheitliche Sprache. Es bestand aus einer zahlreichen regionalen Dialekten, die uns in der Vielfalt, in der sie bestanden, nicht überliefert sind. Das Mittelhochdeutsch, wie es an Universitäten gelehrt und in Buchausgaben gedruckt wird, wurde künstlich normalisiert. Das klassische Mittelhochdeutsch tendierte zwar bereits zu einer überregionalen Einheitssprache, aber es war in erster Linie eine Literatursprache und daher in seiner Wirkung begrenzt.

Bedeutungsveränderungen

Im Textbeispiel fällt auf, dass viele Wörter ähnlich wie moderne Wörter klingen. Aber beim Übertragen ins Neuhochdeutsche muss man aufpassen, denn einige haben im Laufe der Zeit ihren Sinn verändert.

Eine mære war früher einfach eine Nachricht, Erzählung oder Geschichte. Mit dem Wort war keine Bewertung des Wahrheitsgehaltes verbunden. Heute kennen wir das Wort Mär nur noch abwertend für etwas Unwahres oder in der Form Märchen, eine unwahre Geschichte, die man vor allem Kindern erzählt.

Mhd. arebeit hatte neben der Bedeutung „Arbeit“ auch die viel stärker negative Bedeutung „Mühe, Mühsal, Not“, auch „Kampfesnot“. In der hier verwendeten Ausgabe des Nibelungenliedes wurde es frei als „Streit“ übersetzt.

Mhd. hôchgezît oder hôchzît, heute als Hochzeit nur noch für die Feier der Eheschließung bekannt, konnte früher für jedes hohe kirchliche oder weltliche Fest stehen. Es wurde auch in übertragener Bedeutung für „höchste Freude“ verwendet.

Das Verb mugen aus Zeile 4 heißt nicht „mögen“, sondern „vermögen“ im Sinne von „können“. In ähnlicher Weise haben viele mittelhochdeutschen Wörter ihre Bedeutung verändert, die sich zum Beispiel auf einen Bedeutungsaspekt verengte.

Zur Aussprache des Mittelhochdeutschen

Die Aussprache des Mittelhochdeutschen unterscheidet sich von der des Neuhochdeutschen. Nur Vokale, die mit Zirkumflex geschrieben sind, zum Beispiel das î in strîten, wurden im Mittelhochdeutschen lang gesprochen. Alle anderen Vokale sprach man kurz, zum Beispiel das a in klagen. Das klingt am Anfang recht gewöhnungsbedürftig.

Die Diphtonge ei, ou, ie, uo und die Umlaute öu und üe spricht man so, wie sie geschrieben werden, und zwar wie im Bayrischen mit fallender Betonung: líebe, gúote usw.

Das ei in Wörtern wie arebeit wird nicht wie in „Mai“ gesprochen, sondern wie in „hey“, das e ist also deutlich zu hören. Das iu ist ein langer Monophtong, wie "ü" gesprochen, z. B. triuwe.

Das z wird im Anlaut und nach Konsonanten wie ts gesprochen, in den übrigen Fällen wie "ß" oder "ss", z. B. daz, wazzer.

Das h wird nur im Anlaut und zwischen Vokalen als Hauchlaut gesprochen, z. B. hûs. Im Auslaut und in Verbindung mit anderen Vokalen ist es ein Reibelaut (wie im Nhd. in ich und ach), z. B. sah, solh, durh.

Vor Konsonanten wird das s als solches ausgesprochen, nicht als "sch", z. B. s-tein, s-pil. Eine Ausnahme bilden sk, sc, sh, sch, die wie "sch" ausgesprochen werden. Ein ph spricht man wie "pf".

Lautliche Veränderungen in der Sprache des Mittelalters

Das Mittelhochdeutsche entstand aus dem Althochdeutschen, das man von 750 bis 1050 sprach. Ab 1350 ging es ins Frühneuhochdeutsche über, das ungefähr bis 1650 gesprochen wurde.

Hochdeutsch bedeutet, dass in diesen Varietäten der deutschen Sprache die zweite, hochdeutsche Lautverschiebung stattgefunden hat. Dieser Lautwandel begann ab dem 7. Jahrhundert im Alemannischen und Langobardischen und führte zur Entstehung des Althochdeutschen. Einige Jahrhunderte vor der Zeitenwende hatte sich bereits die erste Lautverschiebung ereignet, durch die sich das Germanische von den übrigen indogermanischen Sprachen trennte.

Typisch für die zweite Lautverschiebung ist die Verschiebung der stimmlosen Verschlusslaute p, t und k, und zwar wie folgt:

  • p > ff, pf, ph; z. B. altsächsisch (as.) skip, engl. ship = ahd. scif > mhd. schif
  • t > tz, zz, z; z. B. as. lātan, engl. let = ahd. lâzan > mhd. lâzen > nhd. lassen
  • k > hh, ch, h, kch, ch; z. B. as. ik, mittelniederdeutsch ek = ahd. ich, ih > mhd. ich, ih > nhd. ich
    • Zur zweiten Lautverschiebung gehören weitere lautliche Veränderungen, die hier aber nicht erwähnt werden sollen. Wer daran interessiert ist, dem empfehle ich das Buch Mittelhochdeutsch von Hilkert Weddige.

      Auch bei der Entwicklung vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen gab es einige Veränderungen in der Sprache. Beispiele sind der Umlaut vor i, î und j der Folgesilbe, z. B. ahd. mahtîg > mhd. mähtec, ahd. skôni > mhd. schœne, ahd. guotî > mhd. güete.

      Typisch ist auch die Nebensilbenabschwächung, d.h., auslautende Konsonanten wie s, z und r verschwinden, z. B. urnordisch dagR, gotisch dags, aber ahd. mhd. tac. Vor allem in den Endsilben der Verben wurden volle Vokalqualitäten zu einem e abgeschwächt. Am Wortende fielen auch Vokale aus, z. B. ahd. ich vare > mhd. ich var. Die Ursache ist, dass die Betonung seit der Entstehung der germanischen Sprachen auf den Wortanfang festgelegt wurde. Die Folgen machten sich nun langfristig in der Sprache bemerkbar.

      Eine weitere Entwicklung ist die Auslautverhärtung, z. B. leides – leit, tages – tac im Mittelhochdeutschen. Sie ist im Nhd. noch vorhanden, obwohl sie in der Schreibung nicht zu erkennen ist.

      Gleichzeitig mit dem Mittelhochdeutschen existierte das Altniederdeutsche (800-1200) bzw. das Mittelniederdeutsche (ca. 1200-1650). Es wurde im Norden Deutschlands gesprochen, nördlich der sogenannten Benrather Linie. Im Niederdeutschen wurde die zweite Lautverschiebung nicht durchgeführt. Dort sagte man appel statt apfel, satte statt satzte („setzte“), maken statt machen usw.

      Was wurde auf Mittelhochdeutsch geschrieben?

      Das klassische Mittelhochdeutsch ist die Sprache der höfischen Literatur während der Regierungszeit der Staufer. Typische Werke sind der klassische Minnesang des berühmten Dichters Walther von der Vogelweide sowie höfische Romane von Autoren wie Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Straßburg.

      Walther von der Vogelweide schuf unter anderem Lieder der Hohen Minne, in denen das lyrische Ich sich an eine sozial hoch über ihm stehende Dame wendet. Daneben schrieb er sogenannte Mädchenlieder, in denen der Sänger nicht von einer hochgestellten Dame träumt, sondern von der Liebeserfüllung mit einem einfachen Mädchen.

      Walther von der Vogelweide
      Walther von der Vogelweide

      Die Artusromane Erec und Iwein Hartmanns von Aue sind Bearbeitungen von zwei altfranzösischen Romanen des Dichters Chrétien de Troyes. Erec entstand um 1185 und Iwein um 1200. Die Romane erzählen von den Abenteuern der ritterlichen Helden. Im Zentrum stehen der Hof des Königs Artus und die Ritter seiner Tafelrunde. Die Handlung spielt in einer Fantasiewelt, die der realen Geografie und der höfischen Welt nachempfunden wurde, aber voller märchenhafter Orte und fantastischer Geschöpfe ist. Themen sind die Bewährung des Ritters in allerlei Gefahren sowie die Frage, wie die wahre höfische Liebe aussehen sollte.

      Wolfram von Eschenbach schuf zwischen 1200 und 1210 den Parzival, ebenfalls ein Artusroman. Er handelt davon, dass der Held Parzival den Gral erringen soll, einen geheimnisvollen, wundertätigen Stein, der von der Gralsgemeinschaft, einer Art Ritterorden, gehütet wird. Wolfram beschreibt die damalige höfische Welt in ihrem Glanz und Elend in allen möglichen Schattierungen. Dem menschlichen Leid setzt er positive menschliche Fähigkeiten gegenüber, vor allem die Fähigkeit zur Liebe.

      Gottfrieds von Straßburg Tristan entstand um 1210. Der Roman schildert die Liebesbeziehung zwischen Tristan und Isolde, die einen Ehebruch darstellt und damit im Gegensatz zur höfischen Gesellschaft steht. Der Stoff zeigt, dass eine Verabsolutierung der Minne zur Zerstörung führt. Der Roman blieb unvollendet.

      Das Nibelungenlied wurde um das Jahr 1200 von einem anonymen Dichter geschrieben. Es ist in seiner Weltsicht negativ und unterscheidet sich deutlich von der wohlgeordneten, optimistischen Welt der Artusromane. Das Nibelungenlied gehört zur Heldenepik und baut auf Sagenstoffen auf. Diese kann man auf einen historischen Kern aus der Völkerwanderungszeit zurückführen. Im 5. Jahrhundert lebte am Rhein der germanische Stamm der Burgunden, die bei Expansionsversuchen durch den weströmischen Heermeister Aetius und dessen hunnische Hilfstruppen besiegt wurde. Der Stoff vom Burgundenuntergang wurde mit dem Hunnenkönig Attila und dem Ostgotenkönig Theoderich (unter dem Namen Dietrich von Bern) verknüpft, obwohl diese erst im 5. bzw. 6. Jahrhundert lebten. Der Stoff war jahrhundertelang mündlich weitergegeben worden, bevor er in die im Nibelungenlied überlieferte Form gebracht wurde.

      Viele weitere literarische Werke wurden auf Mittelhochdeutsch geschrieben, daneben aber auch Gebrauchsliteratur, wie Urkunden, Rechtstexte, theologische und philosophische Texte, Predigten, Glossen, Chroniken usw.

      Übrigens …

      In der heutigen Mittelalterszene, auf Mittelaltermärkten etc. spricht kaum jemand Mittelhochdeutsch. Viele Mittelalterfans benutzen das sogenannte Marktsprech, eine Fantasiesprache, die altertümlich klingen soll. Im Mittelalter hat tatsächlich niemand so gesprochen.

      Damit will ich Mittelaltermärkte keineswegs abwerten. Es geht schließlich auch um den Spaß an der Sache und das Eintauchen in eine andere Welt. Außerdem ist Mittelhochdeutsch für die meisten Besucher von Mittelalterfesten unverständlich. Und wir wissen nicht einmal genau, wie Mittelhochdeutsch klang, denn das künstlich normalisierte Mittelhochdeutsch ist nur eine Annäherung an die zahlreichen Dialekte der Menschen im Mittelalter.

      Aus diesen Gründen wäre es unsinnig zu verlangen, auf Mittelaltermärkten Mittelhochdeutsch zu sprechen. Wer sich für das Mittelalter interessiert, sollte aber zumindest schon mal vom Mittelhochdeutschen gehört haben.

      Literatur- und Quellenhinweise:

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6 Gedanken zu „Mittelhochdeutsch – die Sprache des Hochmittelalters

  1. Hermann Philipps

    Ein schöner Artikel. Allerdings möchte ich auf einen Fehler aufmerksam machen. Es heißt hier an einer Stelle:
    „Einige Jahrhunderte vor der Zeitenwende hatte sich bereits die erste Lautverschiebung ereignet, mit der das Deutsche aus dem Germanischen ausgegliedert wurde.“
    Richtig ist, dass einige Jahrhunderte vor der Zeitenwende sich die erste (germanische) Lautverschiebung ereignet hatte, mit der sich das Germanische von den übrigen indogermanischen Sprachen absonderte.
    Das Hochdeutsche grenzte sich erst durch die zweite Lautverschiebung von den übrigen germanischen Sprachen ab.
    Das Niederdeutsche hat die zweite (hochdeutsche) Lautverschiebung nicht mitgemacht, und auch auf die meisten mehr westlichen fränkischen Dialekte (Hessisch, Pfälzisch, Rheinisch, usw.) wirkte sich die zweite Lautverschiebung nur teilweise aus.

    1. Björn

      Hallo Hermann,

      danke für den Hinweis, du hast natürlich recht. Da war ich wohl beim Schreiben unaufmerksam und habe mich zu sehr auf die zweite Lautverschiebung konzentriert. Ich habe meinen Beitrag entsprechend angepasst.

      Viele Grüße
      Björn

  2. Ulla Kunze

    Hallo
    Ich bin durch Zufall auf Ihren Artikel gestoßen, da ich die Schreibweise von einigen Wörtern um 1875 suche. Es geht um Porzellan bzw Keramik Vorratsbehälter für Kaffee, Tee, Zucker, Salz, Kümmel, Majoran, Zimt, Mehl und Pfeffer. Die Schreibweise auf den Behältern ist die heutige und ich denke, dass es Repliken sind. Können Sie mir sagen, ob diese Wörter vor 150 Jahren anders als heute geschrieben wurden?
    Gespannt wartend, Ulla.

    1. Björn

      Hallo Ulla,

      auch wenn es mit dem Thema Mittelhochdeutsch nichts zu tun hat: Viele Wörter wurden in früheren Jahrhunderten anders geschrieben als heute, da es noch keine eindeutig geregelte Rechtschreibung gab. Der erste Duden erschien erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts, es gab aber schon vorher Bestrebungen zur Vereinheitlichung der Rechtschreibung.

      Was die von Ihnen genannten Wörter betrifft, könnten Sie diese z. B. im Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm suchen, siehe http://dwb.uni-trier.de/de/

      Viele Grüße
      Björn

  3. Eduard Weber

    Hallo Björn,

    besten Dank für die gelungene Einführung in die Ausprache des Mittelhochdeutschen. Allerdings vermisse ich einen Hinweis auf den Diphtong "ou" wie in "frouwe". Wird er wie im englischen Wort "low" ausgesprochen? Gibt es Tondateien (MP3) mit gesprochenen mhd. Texten, z. B. der Minnelyrik oder des Nibelungenlieds? Über eine Antwort auf diese Fragen würde ich mich sehr freuen.

    Viele Grüße
    Eduard

    1. Björn

      Hallo Eduard,

      danke für deinen Kommentar.

      In Bezug auf die Aussprache von "ou" liegst du meines Wissens richtig.

      Auf Youtube gibt es zahlreiche Videos zum Mittelhochdeutschen. Dort habe ich zur Aussprache z. B. dieses Video gefunden: https://www.youtube.com/watch?v=7GY9iGfsHec

      Viele Grüße
      Björn

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